Mittwoch, August 30, 2017

Halali von Ingrid Noll

Jäger und Gejagte


Die 82jährige Holda lebt mit ihrer Enkelin Laura im selben Hochhaus, in unterschiedlichen Appartements versteht sich. An Abenden, die die beiden in regelmäßigen Abständen gemeinsam verbringen, erzählt Holda ihre Geschichte. Wie das war, das Leben, in den Nachkriegsjahren, Anfang der 50er in Bonn. Holda hat als Vorzimmerdame im Innenministerium gearbeitet. Laura hat einen ähnlichen Beruf ergriffen, allerdings nennt sich das heute „Assistenz der Geschäftsführung“. Unverheiratete Frauen wurden damals noch Mädchen und Fräulein genannt, vieles was heute als selbstverständlich gilt, war damals noch unschicklich. Ziel der jungen Frauen war es, einen Ehemann zu ergattern, denn dann galten sie als versorgt. So wurde in der Kantine versucht zu flirten mit den unverheirateten jungen Regierungsräten oder mit den Studenten. Aber wer ist hier Jäher und wer der Gejagte?

In feiner, auserwählter Sprache, durchzogen mit Sätzen im Bonner Dialekt erzählt Ingrid Noll eine wunderbare Geschichte. Mich begeistert besonders, dass sie dafür ihre Protagonistin Holda erzählen lässt. Holda und ihre Enkelin Laura, die so verschieden sind und doch soviel gemeinsam haben, faszinieren mich. Meine persönliche Heldin ist jedoch die Gräfin, die Tante von Holdas Freundin und Kollegin Karin. Eine feine Dame, zwar nicht reich, aber vornehm und mit dem Herzen auf dem rechten Fleck. Ingrid Nolls Gespür für feinsinnigen Humor ist einzigartig und unerreicht. Die Geschichte selbst ist spannend wie fesselnd und nimmt völlig unerwartete Wendungen. Der kalte Krieg und dessen Auswirkungen sind beängstigend greifbar.

Ganz still und leise hat sich dieses Buch in mein Herz geschlichen und nimmt nun dort einen Favoritenplatz ein. Selbstverständlich vergebe ich dem Buch fünf von fünf möglichen Sternen und empfehle es nur zu gerne weiter. Wer ein bisschen Bonner Luft in den 50er Jahren schnuppern möchte, sollte sich unbedingt auf diese Zeitreise begeben und er wird nicht enttäuscht werden – versprochen! Ganz wundervoll beschreibt die Autorin zudem die Unterschiede zwischen damals und heute – was waren die Lieblingsessen, wie war der Ablauf im Büro, die Moralvorstellungen.

Herzlichen Dank an den Diogenes Verlag für die freundliche Bereitstellung eines Rezensionsexemplars.